Die Heiligenseer Straßenbahn

Wer heutzutage sonntags an einer der Heiligenseer Bushaltestellen des 133er steht, um nach Tegel zu fahren, braucht nicht länger zu warten, als es die Fahrgäste im Jahre 1914 tun mussten. Damals gab es hier eine Straßenbahn und der Sonntagsfahrplan sah auch damals einen 20minütigen Takt vor. 

Werktags fuhr die Bahn stündlich oder im Berufsverkehr alle 30 Minuten. Die Straßenbahnlinie der Gemeinde Heiligensee war am 28. Mai 1913 feierlich eröffnet worden. "60 Fahrgäste mit ihren Damen und einige Pressevertreter" bestiegen am Beginn der Strecke auf dem Dorfanger den mit Blumen geschmückten Straßenbahnzug und fuhren die Heiligenseestraße entlang bis zur Gabelung im Wald.

Einzige Haltestelle an der damals noch unbebauten Kirschallee war die Station "Flugplatz Heiligensee" (heute: Am Dachsbau). An der Gabelung wurde rangiert, um die Wagen auf die Abzweigung nach Heiligensee zu setzen, wo am Abend anlässlich "des weiteren Marksteins in der Entwicklung der aufblühenden Gemeinde" kräftig gefeiert wurde.

Lange vorher, nämlich bereits 1907, hatte die Gemeindevertretung im Amtshaus auf der Dorfaue erste Pläne für eine bessere Verkehrsanbindung nach Tegel diskutiert. 1913 endlich wurden sieben Triebwagen und sechs Beiwagen in Auftrag gegeben. Die Kosten für die gesamte Anlage waren erheblich, aber bald schon stiegen Fahrgastzahlen und Fahrscheinverkauf so kräftig an, dass die Gemeinde rasch wieder schuldenfrei war. Die Fahrzeit für die knapp sechs Kilometer lange Strecke zwischen Tegel und Heiligensee betrug 19 Minuten. Vor allem in den Sommermonaten blühte der Ausflugsverkehr. Vielleicht lag es auch am Service? Es war "möglich, auf freier Strecke zuzusteigen; denn in der guten alten Zeit war jeder Fahrgast willkommen. Der Fahrer verlangsamte die Fahrt so, dass man bequem aufspringen konnte." Die Straßenbahnen verkehrten bis 1958. Busse übernahmen danach ihre Aufgabe. Im gleichen Jahr wurde Tegel Endpunkt der verlängerten U-Bahnlinie U6. 

Was ist geblieben von der Straßenbahn-Ära in Heiligensee?
Erstens: unübersehbar noch heute - das ehemalige Straßenbahndepot im Dorfkern, damals Wagenhalle und Werkstatt, heute Werkstatt eines Steinbildhauers.
Zweitens: der breite Grünstreifen auf der südlichen Seite der Heiligenseestraße, auf dem die Straßenbahntrasse verlief. Dieser Streifen am Feldrain wurde in den 80er Jahren von der Bürgerinitiative "Rettet die Felder" mit Sträuchern bepflanzt.
Drittens (vielleicht): die relativ breite Straße durch den Wald nach Tegel, die ohne die Straßenbahntrasse damals wohl schmaler gehalten worden wäre.
Viertens (sicherlich): Die Erinnerungen vieler Heiligenseer, die "nach Berlin" zur Arbeit und zu den Schulen fuhren und die Erinnerung so mancher Berliner, deren Wochenendziel das Strandbad am Heiligensee oder die Molle im Sommergarten des Fährhauses oder das Tanzvajnüjen im "Rotkäppchen" war.

Mehr über dieses und weitere Themen stehen in den "Heiligenseer Blätter", erhältlich bei mir.